Pressemitteilung der Landsmannschaft Ostpreußen, Landesgruppe Nordrhein-
Westfalen e.V. vom 14. November 2022 zur:
Diskriminierung in Polen: Deutsche Minderheit verdient
unsere Unterstützung!
Polen hat den muttersprachlichen Deutschunterricht für Kinder der
deutschen Minderheit zu Beginn dieses Schuljahres einseitig von drei
Stunden auf eine Stunde pro Woche reduziert, während Kinder anderer
nationaler Minderheiten von dieser Maßnahme nicht betroffen sind.
Begründet wird diese Entscheidung mit der Behauptung, Deutschland
finanziere keinen herkunftssprachlichen Unterricht für die in der
Bundesrepublik lebenden Schüler mit polnischen Wurzeln. Diese Aussage
ist unzutreffend. Alleine in Nordrhein-Westfalen erhalten derzeit knapp
5100 Schüler herkunftssprachlichen Polnischunterricht in über 300
Lerngruppen, es gibt 45 Lehrkräfte und 36,5 Vollzeitstellen, so der
ehemalige NRW-Staatssekretär für Integration Thorsten Klute (SPD). Laut
der Nachrichtensendung „Fakty“ des polnischen Fernsehsenders TVN fördern
die deutschen Bundesländer herkunftssprachlichen Polnischunterricht für
15 000 Schüler mit 200 Millionen Euro, der polnische Staat den
muttersprachlichen Deutschunterricht von 50 000 deutschstämmigen
Schülern jedoch nun mit lediglich noch 200 Millionen Zloty (ca. 43
Millionen Euro). Die Vorwürfe des polnischen Bildungsministers
Przemysław Czarnek (PiS) sind somit nicht nur einfach unbegründet. Das
Gegenteil seiner Behauptungen ist zutreffend: Die finanzielle Förderung
polnischen herkunftssprachlichen Unterrichts in der Bundesrepublik ist
sogar deutlich umfangreicher als die Förderung des muttersprachlichen
Deutschunterrichts in der Republik Polen, obwohl die Nachfrage
wesentlich geringer ist. Das Land Nordrhein-Westfalen ist Patenland für
die Landsmannschaft der Oberschlesier und Partnerregion der polnischen
Woiwodschaft Schlesien. Viele Kommunen in unserem Land haben
Patenschaften für Städte und Kreise in den historischen deutschen
Ostgebieten übernommen und unterhalten heute Partnerschaften mit den
dortigen polnischen Gebietskörperschaften. Stellvertretend können an
dieser Stelle Gelsenkirchen, Hagen, Herne, Remscheid, Bochum und Wesel
für die ostpreußischen Städte und Kreise Allenstein, Lyck, Ortelsburg,
Sensburg, Neidenburg und Rastenburg genannt werden. Weitere einfache
Partnerschaften wie die von Lichtenau (Westfalen) mit Mehlsack (Pieniężno),
Legden im Münsterland mit Rößel (Reszel), Nettetal am Niederrhein mit
Lyck (Ełk) und Velbert mit Mohrungen (Morąg) sind seither hinzugekommen,
um nur einige Beispiele von Verbindungen zwischen Nordrhein-Westfalen
und der heutigen Woiwodschaft Ermland-Masuren zu nennen. Wir appellieren
an die Vertreter der Landes- und Kommunalpolitik, den Musterfall der
Diskriminierung der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen
gegenüber den polnischen Gesprächspartnern anzusprechen und sich im
europäischen Geist für die Sicherung der Minderheitenrechte vor Ort
einzusetzen. Auch Kommunalvertreter haben eine wahrnehmbare Stimme, wie
es der ehemalige Breslauer Stadtpräsident Dr. Rafał Dutkiewicz und der
Elbinger Landrat Maciej Romanowski konstruktiv unter Beweis gestellt
haben. Außerdem haben sich einige Gemeinden in der Woiwodschaft Oppeln
(Oberschlesien) in unterschiedlichem Umfang dazu bereiterklärt,
wegfallenden Deutschunterricht aus eigenen Mitteln auszugleichen. Diese
Schritte verdienen Anerkennung. Wir unterstützen die Forderung des
Vorsitzenden des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen
Gesellschaften in der Republik Polen (VdG), Raphael Bartek, und des
Bundestagsabgeordneten Stephan Mayer (CSU) nach einem deutlicheren
Zeichen auf höherer Ebene vonseiten der Bundesregierung und des
Bundesaußenministeriums. Wir unterstreichen die Notwendigkeit der von
BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius in seiner damaligen Funktion als
Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedler und nationale
Minderheiten geforderten Schadensbegrenzung in Form einer Finanzierung
eines Angebots muttersprachlichen Deutschunterrichts für die
Schülerinnen und Schüler der deutschen Minderheit durch den deutschen
Staat. Die Einrichtung einer deutschen Schule in Allenstein mit
Internatsanbindung für den Einzugsbereich des südlichen Ostpreußens, wie
sie von der Landsmannschaft Ostpreußen seit Jahren gefordert wird,
erweist sich als dringlicher denn je. Es darf nicht sein, dass der von
der polnischen Regierung grundlos und willkürlich losgetretene Konflikt
auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen ausgetragen wird, denen
Bildungschancen und Identität genommen werden sollen. Auch vonseiten der
Europäischen Union muss eine klare Stellungnahme erfolgen, wenn sie als
„Wertegemeinschaft“ glaubwürdig sein möchte, in der Minderheitenrechte
geachtet und verteidigt werden.
Die Herbsttagung in
Oberhausen beleuchtet mit Christopher Spatz die Schwächsten des
Krieges Wolfskinder, Friedland und Platt
Am 8. Oktober konnte endlich wieder die gewohnte Landes-Kultur- und
Frauentagung der Landesgruppe NRW in Oberhausen stattfinden. Am Abend
zuvor wurde die Vorstandssitzung abgehalten, und sowohl die
ostpreußischen Stammgäste als auch die Gastgeber freuten sich über
dieses Wiedersehen. In dem schon zur Heimat gewordenen „Haus Union“
herrschte ein Betrieb wie früher, als ob Corona endgültig überwunden
sei. Der 1. Vorsitzende Klaus-Arno Lemke begrüßte die Landsleute und gab
einen kurzen Überblick über die Ereignisse der letzten Monate: Neuwahl
des Vorstandes im Mai, Situation der Kreisgruppen, Probleme durch die
politische Situation, besonders durch den Krieg in der Ukraine. Das
Treffen auf Schloss Burg ist für Sommer 2023 geplant. In Alfred
Nehrenheims Ansprache kam wie in der Lemkes die Überzeugung zum
Ausdruck, dass der Einsatz für Ostpreußen sinnvoll und lohnenswert ist.
Die stellvertretende Vorsitzende unterstrich diesen Standpunkt mit dem
Hinweis auf das reiche Kulturerbe, das immer mehr internationales
Interesse findet. Grenzüberschreitende Tagungen und Publikationen zeugen
davon. Es war der Landesgruppe gelungen, Christopher Spatz als
Referenten zu gewinnen. Zunächst sprach er über sein Buch „Nur der
Himmel blieb derselbe: Ostpreußische Hungerkinder“, das den Anwesenden
weitgehend bekannt war. Da beeindruckte die Nachricht, dass das
Schicksal der Hungerkinder unverändert internationales Interesse findet.
Der Referent konnte von einer Tagung in Memel mit der dortigen
Stadtschreiberin wenige Tage zuvor berichten. Die Hungerkatastrophe im
Königsberger Gebiet ab 1945 forderte 220.000 Tote. 1947 ging es nur noch
ums Überleben, familiäre Bindungen traten in den Hintergrund. Kinder,
immer die Schwächsten in Kriegs- und Notzeiten, waren zum Tode
verurteilt. Litauen nannte Spatz das „Tor der Rettung“ für die Kinder,
die sich unter Lebensgefahr als blinde Passagiere und zu Fuß aufmachten.
Aber auch in Litauen war ein jahrelanges Vagabundieren und Betteln oft
ihr Schicksal oder sie fanden Unterkunft als billige Arbeitskräfte. Im
Allgemeinen wurden die Litauer als wohlwollend erlebt, aber Schulbesuch
gab es nicht, der Bildungsknick wirkte sich aus. Und nicht nur das: Wer
bereit war, seine deutsche Identität aufzugeben, hatte bessere Chancen.
Die Kinder und Jugendlichen, die später in die DDR oder in die
Bundesrepublik ausreisen konnten, stellten, so eine Lehrereinschätzung
von 1951, eine Art Auslese dar. Das sollte sich bestätigen, denn viele
der „Wolfskinder“ wurden tüchtige Menschen und Staatsbürger. Generell
ist der hohe Anteil an Akademikern unter allen Flüchtlingskindern eine
Auffälligkeit. Die psychischen Schäden dieser Kinder, die um ihre
Kindheit und Jugend betrogen wurden, konnten erst Jahrzehnte später
angesprochen werden. Dasselbe gilt für die Millionen Menschen, die durch
das Lager Friedland gingen, das Spatz anhand seines Buches „Heimatlos.
Friedland und die langen Schatten von Krieg und Vertreibung“, erschienen
2018, vorstellte. Ende September 1945 wurde in Friedland von den Briten
ein Durchgangslager erbaut. Im Dezember 1945 entstand ein größeres, mit
Nissenhütten bebautes Areal am Bahnhof. Das Lager Friedland erlangte
1955 weltweite Aufmerksamkeit, als die letzten Gefangenen aus
sowjetischer Kriegsgefangenschaft ankamen. Rückholung der
Kriegsgefangenen Spatz sprach am 8. Oktober zu Menschen, die diese
Sensation als Kind miterlebt hatten. Der Einsatz des damaligen
Bundeskanzlers Konrad Adenauer war seinerzeit Stadtgespräch. Der
Referent aber lenkte sein Augenmerk auf die Schattenseiten für manche
Familien. Vergebliches Warten, Enttäuschungen, schließlich die Ankunft
eines fremden Mannes, der für die Kinder nun der Vater sein sollte.
Besonders hart war auch hier unter den Ankömmlingen das Los der
elternlosen Kinder, die entwurzelt, traumatisiert und voller Misstrauen
in eine unbekannte Welt kamen. Das Buch „Heimatlos“ ist ein
reichhaltiges Sachbuch, in dem die Schweizer Journalistin Ré Soupault zu
Wort kommt, die 1950 durch die BRD reiste und die Zustände in den
Flüchtlingsunterkünften beschrieb – eine schwere Kost. Das harte
Schicksal der aus sowjetischer Gefangenschaft entlassenen Frauen wird
geschildert, für die der Weg in ein Leben im Westen steinig und mühsam
werden sollte. Nach den Kriegsgefangenen kamen Ströme von Aussiedlern.
1966 wurde der Grundstein zu einem Mahnmal gelegt, das am 15. Oktober
1967 eingeweiht wurde. 2016 wurde im Bahnhofsgebäude von Friedland ein
Museum eingerichtet. Aber das Lager ist immer noch in Betrieb, jetzt für
Flüchtlinge aus der Ukraine. Verständlich, dass beide Vorträge einen
intensiven Gesprächsbedarf bei den Tagungsgästen bewirkten. Dazwischen
sorgte Lemke mit „Ostpreußischer Mundart“ für Erwärmung der Herzen. Es
tat so gut, die liebevollen Verkleinerungen zu hören wie beim „Muttche
und Omche“. Als Lemke fundiert die Geschichte des Liedes „Ännchen von
Tharau“ beleuchtete, das Johann Gottfried Herder 1799 aus dem
ostpreußischen Platt ins Hochdeutsche übertrug, stieg die Szenerie des
Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) auf. Lemke beschrieb das Gut und die
Kirche von Tharau und ließ die Zuhörer an einer bittersüßen Anekdote
über das Platt teilhaben. 1948 arbeiteten Deutsche unter den Russen im
Straßenbau. Jemand riet ihnen zur Vorsicht, wenn sie Deutsch sprachen,
da einige russische Aufseher Deutsch verstehen würden. Sie wussten sich
zu helfen, sprachen Platt und waren damit auf der sicheren Seite.