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Gruppe Gladbeck - Nachrichten-Übersicht 2013: Nachrichtenarchiv
2011
Aus den Augen, aber stets im Sinn Gladbeck. Geht er die Hauptstraße entlang, kommt er auf das Haus seiner Familie zu. Karl-Heinz Leitzen biegt um eine Kurve, dann hat er es in Sichtweite. Hier kennt er jeden Weg, jeden Stein. Das hier, Succase im Kreis Elbing, nennt er seine Heimat – die Orte seiner Kindheit sieht der gebürtige Ostpreuße, wenn er seine Augen schließt, vor sich, als wenn er sie erst gestern verlassen hätte. Diese Bilder der Erinnerung verbinden ihn wie eine Nabelschnur mit seiner Vergangenheit, seinem persönlichen Lebenslauf. Denn die Stätten, mit denen Leitzen verwurzelt ist, waren ihm lange Zeit versperrt. Durch den 2. Weltkrieg verlor Deutschland Ostpreußen. Heute gehört das Gebiet zu Polen Das Gestern, das könnte nach Jahrzehnten der notgedrungenen Abwesenheit längst ein abgeschlossenes Kapitel für Leitzen sein. Doch das ist es nicht. Der Senior, der heute seinen 90. Geburtstag feiert, will diese Epoche deutscher Geschichte nicht in Vergessenheit versinken lassen. Als langjähriger Vorsitzender der Landsmannschaft Ost- und Westpreußen/Gruppe Gladbeck bemühen er und die anderen Mitglieder sich, die Erinnerungen an das verlorene Zuhause wach zu halten und „ein bisschen Heimatgefühl“ zu bewahren. Geschichte in persona Warum die Hand in alte Wunden legen? Weshalb nicht einfach Gras über die schmerzvolle Vergangenheit wachsen lassen? Leitzen, ein Angehöriger der „Erlebnis-Generation“, sieht es als seine Pflicht an, Historie – und dazu zählen nun einmal auch düstere Seiten in den Geschichtsbüchern – nicht ins Niemandsland zu verbannen und aus dem Gedächtnis der Gesellschaft zu vertreiben: „Vor allen Dingen wollen wir Kulturgut weitergeben an nachfolgende Generationen“, sagt er. Mit seinen Enkelkindern lege er beispielsweise ein Puzzle zum Thema Ostpreußen. Und ist das Interesse bei jungen Leuten für die Vergangenheit und insbesondere die Problematik der Heimatvertriebenen erst einmal geweckt, plaudert der 90-Jährige aus seinem Leben. Seine Erlebnisse in den Kriegswirren würden einen dicken Wälzer füllen. Seine Lebensgeschichte, das ist ein Teil deutscher Geschichte wie sie unzählige Leidensgenossen erlebt haben. Wenn Leitzen erzählt, werden Daten und Fakten aus dem Schulunterricht lebendig. In Königsberg am 25. Juni 1923 geboren, kam er als Dreijähriger zu seinem Großvater, einem Tierarzt. Der Junge, ein Einzelkind, wuchs auf in Succase. „Ich war gerade einmal zehn Jahre alt, als der Nationalsozialismus kam“, sagt Leitzen. Als 18-jähriger Soldat zog er in den Krieg, die Daten seiner Einsätze hat er parat. „1942, da musste ich nach Russland zum Einsatz“, berichtet der 90-Jährige. Er kämpfte unter anderem auch in Frankreich. Leitzen: „Während meiner Kriegszeit habe ich Tagebuch geführt.“ Doch vieles bleibt ihm ohnehin unvergessen. „Die
Salven, die hörten sich an wie eine Handvoll Erbsen in einem Kochtopf“, erinnert
er sich. Über viele Stationen versuchte er sich gegen Ende des Krieges – „Adolf
war schon tot, das hatten wir mitgekriegt“ – gen Osten, in seine Heimat durchzuschlagen.
Aber: „Vor uns die Russen, hinter uns die Amerikaner.“ Da sei kein Durchkommen gewesen.
Karl-Heinz Leitzen geriet in Kriegsgefangenschaft. Auch als er 1947 in Freiheit
gelangte, konnte er nicht heimkehren: Preußen existierte nicht mehr. Die Arbeit
für ein britisches Transportunternehmen führte ihn schließlich ins Ruhrgebiet und
nach Gladbeck, wo er seine spätere Frau Gertrud kennenlernte. Hier fand Leitzen
seine zweite Heimat. Aber sein Ostpreußen hat er stets im Herzen . . .
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