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Das kulturelle Erbe Ostpreußens „Von der Heimat geh’n ist schwerste
Last, So dichtete Agnes Miegel in der Ballade „Die Fähre" um 1920. Die Ballade entstand, als Agnes Miegel, mehr als ein Vierteljahrhundert vor der Vertreibung, in Tawellningken an der Memel weilte. 1944/45 wurde ihr und ihren ostpreußischen Landsleuten die „schwerste Last“ auferlegt. Das Schicksalsjahr 1945 Fremd und bettelarm kamen die Vertriebenen, die „Flüchtlinge" - falls sie überlebt hatten - in einem vom Krieg zerstörten, verelendeten Land an, das mit einer katastrophalen Versorgungslage zu kämpfen hatte. In dem zerbombten Restdeutschland sollten Millionen Ostvertriebene, Millionen sozial Schwache eingegliedert werden. Die Eingliederung der Vertriebenen ins Nachkriegsdeutschland ist eine der gigantischen Leistungen der Weltgeschichte. Die von der „schwersten Last Gebeugten" resignierten jedoch nicht in ihrem harten Schicksal, sondern packten zu, schafften sich eine neue Existenz und leisteten einen großen Beitrag am Wiederaufbau nach dem Krieg. Besitz und materielle Werte hatten sie verloren, aber sie brachten etwas mit, was seitdem „Das unsichtbare Fluchtgepäck" genannt wird: das reiche geistige und kulturelle Erbe ihrer Heimat, die interessante Geschichte, Brauchtum und Volkskunst, die Sprache und die Lebensart, die man nicht in Vergessenheit geraten lassen wollte. Die Landsmannschaft Ostpreußen sah und sieht es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, dieses kulturelle Erbe zu pflegen. Die jahrzehntelange Kulturarbeit hat einen Fundus an Veröffentlichungen, Archiven und Museen geschaffen, den künftige Generationen nutzen können. Inzwischen sind nicht nur deutsche Historiker, Germanisten oder Archäologen dankbar für dieses Material. Die Begegnung mit den heutigen polnischen und russischen Bewohnern der ostpreußischen Heimat hat zu einem Kulturaustausch geführt, der einen neuen Abschnitt in der Kulturgeschichte Ostpreußens darstellt. I. Die Grundlagen des Geisteslebens Ostpreußens Ostpreußen - in deutscher Zeit ein reiches Agrarland, das einen großen Teil des Reiches mit ernährte, ein Land am Meer, in dem Fischerei, Schifffahrt und Handel blühten, ein Land mit großen Wäldern und Seen, in dem der Beruf des Försters, Fischers und Waldarbeiters ausgeübt wurde, ein dünn besiedeltes Land mit einer bäuerlich geprägten Infrastruktur, mit einer Natur, die sich nur schwer vom Menschen erobern und besiedeln ließ, ein Land mit einer Weiträumigkeit, die dem Menschen große Entfernungen und Einsamkeit auferlegte. Und doch hat dieses Land eine Reihe großer Geister hervorgebracht, und geistige Impulse, die die Welt veränderten, gingen vom Osten aus. Es liegt vielleicht an dem Menschentyp, der sich hier unter spezifischen historischen und geographischen Bedingungen herausgebildet hat. Das Land wurde erst spät, im 13. Jahrhundert, christianisiert. Solange hielten die tüchtigen Ureinwohner, die Prußen, die fremden Einflüsse von sich fern, begünstigt durch die Unwegsamkeit des Landes. Der Übermacht des Deutschen Ordens mussten sie sich ergeben, wurden zwar besiegt, aber nicht ausgerottet, und in die vom Orden gegründeten Städte und Dörfer kamen deutsche Siedler, die sich mit den prußischen Ureinwohnern vermischten. Wer nimmt ein neues Leben fernab der alten Heimat in Angriff? Es sind die Wagemutigen, die Tatkräftigen. Im Laufe der Jahrhunderte kamen Einwanderer, die das Land wirtschaftlich und kulturell bereicherten: die Hugenotten aus Frankreich, die Salzburger Protestanten, die holländischen Mennoniten. Der ständige Austausch mit den Grenzvölkern, mit Polen, Litauern, Russen und Juden aus dem Osten brachte stets neue Einflüsse. Es entstand eine organisch gewachsene, vielfältig geprägte Gesellschaft. Die Geistesgeschichte Preußens und damit Ostpreußens wurde von drei Momenten geprägt: von dem katholischen Ordensstaat, von der Reformation und der Umwandlung des Ordensstaates in ein weltliches Herzogtum, wobei das Ermland seinerzeit katholisch blieb und ein Zentrum der Gegenreformation wurde, und von der Aufklärung mit der zentralen Figur Kants. Und bei allem blieb das alte Heidentum, die Naturreligion und Naturmagie der alten Prußen, in den Bräuchen und Festen besonders auf dem Lande bis zur Vertreibung lebendig und hat sich in der Kulturpflege auch nach 1945 noch erhalten. II. Das Kulturerbe des Ordensstaates Die Zeugen der Kultur des Ordensstaates stehen bis heute der Welt vor Augen. Es sind die Burgen und Dome, die die Jahrhunderte überdauert haben. Da ist die Marienburg, der größte umbaute Raum Europas, der Frauenburger Dom mit dem beeindruckenden Blick auf das Haff, die Burg Heilsberg, das Schloss in Allenstein, der Königsberger Dom mit seiner aufregenden Geschichte, die Dorfkirchen, die Kleinodien waren im Baustil und in der Ausstattung, um nur einige Beispiele zu nennen. Es waren meist Trutz- und Fluchtbauten, die Dome und Burgen des Ordens, aber ihre Architektur ist bis heute Studienobjekt für Bauingenieure und Architekten. III. Von der Reformation ausgelöste rege Geistestätigkeit Die Reformation ging von Wittenberg aus, aber bereits 1523 wurde die erste evangelische Weihnachtspredigt im Königsberger Dom von Bischof Polentz in deutscher Sprache gehalten. 1525 wurde der Ordensstaat in ein weltliches Herzogtum umgewandelt, der letzte Hochmeister, der Hohenzollern-Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach wurde als erblicher Herzog von Preußen anerkannt. Am 9. Mai 1525 huldigten ihm die preußischen Stände. Von Königsberg aus nahm die Reformation ihren Ausgang in die skandinavischen Länder. Hier wurden die ersten Bibeln, Liederbücher und Schriften in deutscher und später auch in altpreußischer (prussischer) Sprache gedruckt. Herzog Albrecht heiratete 1526 Dorothea von Dänemark, die 1547 verstarb. 1550 heiratete er Anna Maria von Braunschweig; er und seine zweite Gattin verstarben am 20. März 1568. Herzog Albrecht förderte die schönen Künste und holte Künstler nach Königsberg. Im Jahre 1544 gründete er die Universität, die ihren Lehrbetrieb mit zehn ordentlichen Professoren und 318 Studenten unter dem Rektor Georg Sabinus begann. Sie wurde auf der Dominsel erbaut und mit dem steinernen „Albertus", einer ovalen Tafel mit dem Bild Herzog Albrechts, geschmückt. Der erste Bau östlich am Pregel wurde 1596 durch Herzog Albrecht Friedrich durch einen weiteren Bau am Nordufer erweitert. Der Raum zwischen den Albertinen und dem Dorn hieß Dornhof. Ab 1588 wurden die Professoren an der Nordwand des Doms im „Professorengewölbe" beigesetzt. Die Universität sollte zunächst die Theologen und Pastöre der neuen Lehre Luthers ausbilden. Die Theologie stand, wie zur damaligen Zeit üblich, an erster Stelle. Daneben wurden die Artes liberales, die „freien Künste" der mittelalterlichen Bildungsordnung gelehrt: Grammatik, Rhetorik, Dialektik sowie die vier mathematischen Künste Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Von Anfang an hatte Königsberg eine Fakultät der Rechtswissenschaft. 1615 gab es die erste Professur für Geschichte, 1619 für praktische Philosophie, Anatomie und Technik. 1635 lag das erste gedruckte Vorlesungsverzeichnis vor und seit 1640 verlieh die Universität Doktordiplome. Eine Reihe bedeutender Namen sind mit der Albertina verbunden; der Name "Albertina" kam erst Mitte des 17. Jahrhunderts auf. Hier können nur einige erwähnt werden. Der erste Rektor Georg Sabinus (1508-1560) (mit deutschem Namen "Schuler"), verheiratet mit Anna Melanchthon, Schüler Melanchthons in Wittenberg, sprach fließend Griechisch und Latein, war Humanist und Dichter. Er hielt Kontakt zu Wittenberg und holte die theologischen Lehrer von dort. Bereits jetzt wurde die Universität Königsberg zu einem Ort theologischer Auseinandersetzungen, die sich im 17. Jahrhundert fortsetzen sollten. Europäischen Ruf gewann der Professor für Rhetorik und Poetik und Dichter Simon Dach (1605-1659), aus Memel gebürtig und seit 1656 Rektor. Von seinen Dichtungen ist das Hochzeitscarmen "Ännchen von Tharau" ein berühmtes Volkslied geworden, doch waren seine Auftragsdichtungen zu Festen und Begräbnissen hoch geschätzt, und er hatte bei seinen Kollegen im übrigen Deutschland ein hohes Ansehen. Mit Martin Opitz war er befreundet und lud ihn 1638 nach Königsberg ein. Königsberg war vom 30-jährigen Krieg verschont geblieben, was der Universität großen Zulauf aus ganz Deutschland brachte. Es bildete sich ein Kreis von Dichtern, Musikern, Komponisten, der sich in der sogenannten "Kürbislaube" oder "Kürbishütte" traf, die sich im Garten Heinrich Alberts, des Domorganisten, befand, der viele Gedichte Simon Dachs vertonte. 1636 hatte Robert Robertin diese „Gesellschaft der Sterblichkeit Beflissner" gegründet. Auch der Mathematiker Christian Rose gehörte dazu. Die Wirkung Simon Dachs erfuhr nach Perestroika einen neuen Höhepunkt. Vor dem Theater in Memel stand bis 1945 eine Figur des "Ännchens"; die Adressatin des Liedes war: Anna Neander aus Tharau. 1989 wurde eine Nachbildung der Figur an ihrem angestammten Platz aufgestellt, und die Einweihung führte Deutsche und Litauer zusammen. IV. Die große Zeit von Kant, Hamann, Gottsched und Herder Ein neues Zeitalter begründete der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804). Am 22. April 1724 geboren (die Russen feiern jedes Jahr seinen Geburtstag), verbrachte er sein Leben in seiner Vaterstadt Königsberg. Er besuchte von 1732 bis 1740 das Collegium Fridericianum, das humanistische Gymnasium auf der Dominsel, und studierte dann an der Albertina Mathematik, Naturwissenschaften, Philosophie und im Nebenfach Theologie. Logik und Metaphysik hörte er bei Professor Martin Knutzen. Im Wintersemester 1755/56 begann er seine akademische Lehrtätigkeit, blieb aber bis 1770 Privatdozent. Lehrstühle in Göttingen und Berlin lehnte er ab und blieb in Königsberg, wo er 1770 den Lehrstuhl für Metaphysik und Logik erhielt. Seine bedeutenden Schriften "Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels" (1755), "Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" (1763), „Träume eines Geistersehers“ (1766), „Metaphysik der Sitten" (1797), „Zum ewigen Frieden" (1795), um nur einige zu nennen, finden ihre Vollendung in den drei großen Kritiken: „Kritik der reinen Vernunft" (1781 bei Hartknoch in Riga erschienen), "Kritik der praktischen Vernunft" (1788) und "Kritik der Urteilskraft" (1790). In der Schrift "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (1785) finden sich Formulierungen des Kategorischen Imperativs, und bahnbrechende Wirkung hatte die kleine Schrift: „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" (1784). „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!", lautet die Antwort, da der Mensch, ein von Natur aus freies Wesen, die Pflicht hat, diese Freiheit zu nutzen und eigenverantwortlich zu handeln. Kant ist der Vollender der Aufklärung, der Begründer einer neuen Erkenntnislehre und einer neuen Ethik. Bahnbrechend war seine Entdeckung des "a priori": der Mensch hat angeborene, also a priori, von vornherein vorhandene Denkkategorien und Ideen. Die a priori vorhandenen Verstandeskategorien Raum und Zeit ermöglichen dem Menschen die Ordnung seiner Wahrnehmungen, seiner sinnlichen Eindrücke. Der Mensch erkennt die Welt mit seinen Sinnen und mit seinem Geist. Damit stellte Kant eine Verbindung zwischen den bis dahin nicht zu vereinbarenden Positionen des Empirismus (Erkenntnis erfolgt nur durch empirische, also sinnliche Wahrnehmung) und des Idealismus (Erkenntnis erfolgt auf rein geistigem Wege) her. Die a priori vorhandenen Vernunftideen geben dem Menschen die Leitlinien für sein sittliches Handeln. Diese Vernunftideen, die Idee der Pflicht, der Gerechtigkeit, der Freundschaft, der Nächstenliebe können nicht aus der Erfahrung gewonnen werden und führen zum Kategorischen Imperativ, immer so zu handeln, dass das eigene Handeln und sogar schon der Wille dazu zum allgemeinen Gesetz werden können. Die moderne Gehirnforschung hat Kants Ergebnisse inzwischen weitgehend bestätigt, wenn auch der metaphysische Ausgangspunkt Kants damit nicht erfasst ist. Kant gilt international als einer der großen Weltweisen neben Sokrates und Laotse. Man spricht von einer vorkantischen und einer nachkantischen Philosophie. Sein Grabmal an der Nordostwand des Königsberger Domes, 1924 durch den Architekten Friedrich Lahrs in seiner heutigen Form gestaltet, überstand den Bombenangriff 1944 und verhinderte das Schleifen der Domruine, das Breschnew 1964 verlangte. Heute steht der wieder aufgebaute Dom auf dem nur noch von Grünanlagen bewachsenen Kneiphof, Wahrzeichen der ostpreußischen Geschichte und der Stolz der russischen Bewohner. Ein Kant-Museum zieht sich über drei Etagen hin. Das Standbild Kants von Daniel Rauch, das 1945 verschwunden ist, wurde von Marion Gräfin Dönhoff als Nachbildung 1992 nach Königsberg gebracht und vor der Universität am Paradeplatz aufgestellt. Ebenso wurde die „Kant-Tafel", die einst an der Schlossmauer hing, nachgebildet und an fast der gleichen Stelle wieder angebracht, mit dem Text in Deutsch und Russisch. Das geschah auf Initiative und mit finanzieller Unterstützung der „Prussia-Gesellschaft", des ältesten Geschichtsvereins Ostpreußens, der 1844 in Königsberg gegründet und 1972 in Duisburg neu gegründet wurde. 2005 wurde die „Staatliche Kaliningrader Universität“ aus Anlass des 750-jährigen Stadtjubiläums in „Kant-Universität" umbenannt. Ein Zeitgenosse Kants war sein Landsmann und Freund Johann Georg Hamann (1730-1788), Philosoph, Gegner der Aufklärung, genannt der „Magus des Nordens“. Seine Philosophie war dem Mystischen zugewandt, seine philosophischen Schriften bestehen aus Aphorismen und Fragmenten, sein persönlicher Lebensstil entsprach seinem rastlosen Geist. Man kann eine Verwandtschaft zu dem schlesischen Mystiker und Philosophen Jakob Böhme (1575-1624), Schuhmacher in seinem bürgerlichen Beruf, sehen. Sein Werk wurde wegweisend für die deutsche Romantik. Auch die europäische Dichtung erhielt wesentliche Impulse aus Ostpreußen. Da ist der in Juditten im Pfarrhaus geborene Johann Christoph Gottsched (1700-1766). Er studierte an der Albertina Theologie und Philosophie, erlangte 1723 die Magisterwürde und floh 1724 nach Leipzig, weil ihm die Einziehung zu den „Langen Kerls" drohte. 1730 wurde er Dozent der Philosophie und Poesie an der Universität Leipzig und 1734 dort Professor der Logik und Metaphysik. Seine große Leistung aber ist die Kultivierung des deutschen Theaters. Er entwarf Regeln für Trauerspiele nach französischem Muster, verbannte primitive Unterhaltung und Schauergeschichten von der deutschen Bühne und stellte Regeln für die Pflege der deutschen Sprache auf. Seine Frau, die Gottschedin, war eine bedeutende Schau-spielerin und Theaterintendantin - die Frauenbewegung hat sie erst heute richtig entdeckt. Dann trat der Mohrunger Johann Gottfried Herder (1744-1803) in die deutsche Literaturgeschichte ein. Er war von Haus aus Theologe und auch als evangelischer Geistlicher u.a. in Bückeburg und Weimar tätig. Er studierte in Königsberg bei Kant und Hamann, ging 1764 als Prediger nach Riga, kam schließlich als Generalsuperintendent und Hofprediger auf Goethes Vermittlung nach Weimar. Obwohl nur fünf Jahre älter als Goethe, war er für Goethe und die Generation des „Sturm und Drang" eine Kultfigur, und Goethe schildert voller Begeisterung seine Begegnung mit Herder in Straßburg. Herders Entdeckung: Dichtung und Literatur ist nicht eine Domäne der Gebildeten, sondern im Volk gibt es eine ursprüngliche Dichtung, das Volkslied, die Sage und das Märchen, und das bei allen Völkern. Er erforschte das Liedgut der Völker und fand gleiche Motive und gleiche Formen, veröffentlichte „Stimmen der Völker in Liedern" (1778/79), ferner Schriften zur Geschichte, zur Philosophiegeschichte, zur Hebräischen Poesie, „Briefe zur Beförderung der Humanität" und anderes. Die Polen verehren ihn sehr; er ist zu einer Brücke zwischen den Völkern geworden. V. Ostpreußische Dichter, Künstler und Geistesgrößen 1. Schriftsteller und Dichter Wie viele bedeutende Künstler hat Ostpreußen hervorgebracht? Bleiben wir bei den Dichtern. Simon Dach wurde schon vorgestellt. Gebürtiger Königsberger ist der Dichter E.T.A. Hoffmann (1776-1822), ein Vertreter der Romantik, besonders der „Nachtseite", dessen mystische und märchenhafte, erzählte Welt gerade der russischen Literatur entscheidende Impulse gab und bei Gogol, Puschkin und Tolstoj Spuren hinterlassen hat. In dem Haus, in dem Hoffmann seine Kindheit verbrachte, wohnte der Dramendichter Zacharias Werner ("Martin Luther und die Weihe der Kraft" (1807)), für Literaturwissenschaftler bis heute eine interessante Erscheinung. Zu nennen sind ferner: Max von Schenkendorf aus Tilsit (1783-1817), der Dichter der Freiheitskriege, Ernst August Wichert aus Insterburg, der bedeutende historische Romane schrieb („Der große Kurfürst in Preußen", „Heinrich von Plauen"), Hermann Sudermann aus Heydekrug (1857-1928), der als Dramatiker des Naturalismus zu Lebzeiten berühmter als sein schlesischer Kollege Gerhart Hauptmann war, Ernst Wiechert (1887-1950) aus Kleinort bei Sensburg, dessen Werk, besonders seine Romane ("Die Magd des Jürgen Doskocil", „Die Majorin“, "Das einfache Leben", "Missa sine nomine“) schon lange ins Polnische übersetzt sind und nun in Russische übersetzt werden, Johannes Bobrowski aus Tilsit (1917-1968) und die großen Autoren, die Ostpreußen nach der Vertreibung zum Thema ihres Werkes machten, Siegfried Lenz und Arno Surminski. Das literarische Leben Königsbergs brachte eine Reihe bemerkenswerter Namen hervor. Während im 19. Jahrhundert nur eine Schriftstellerin hervortritt, Fanny Lewald (1811-1889), die mit ihren Romanen und Lebensbeschreibungen die Situation der Juden darstellte und für die Emanzipation der Frauen eintrat, zeigt sich im 20. Jahrhundert ein anderes Bild. Gertrud Papendick, Tamara Ehlert, Ruth Geede, Sabine Horn, Eva Maria Sirowatka (und es gibt noch weitere namhafte Autorinnen zu nennen) stehen neben ihren männlichen Kollegen Fritz Kudnig, Walter Scheffler, Gerhard Kamin, Max Lippold, um auch nur einige zu nennen. Die Dichtung hat den Verlust der Heimat überdauert; Königsberg und Ostpreußen blieben die künstlerischen Wurzeln. 1924 erhielt eine Frau die Ehrendoktorwürde der Albertina: die Dichterin Agnes Miegel. Am 9. März 1879 in Königberg geboren, wurde sie in jungen Jahren zur Erneuerin der deutschen Ballade. Sie erhielt den Literaturpreis des Schillerbundes (1911) und den Kleistpreis (1916). Die Thematisierung ihrer Heimat Ostpreußen in den „Geschichten aus Alt-Preußen", von denen „Die Fahrt der sieben Ordensbrüder“ die größte Wirkung hatte, wie auch in den Balladen "Herzog Samo", „Das Opfer", „Heinrich von Plauen“, „Henning Schindekopf“, "Die Frauen von Nidden" ließ sie nach der Vertreibung für ihre Landsleute zur „Mutter Ostpreußen" werden. Die ostpreußische Tragödie kommt in den Klageliedern "Abschied von Königsberg", „Wagen an Wagen", „0 Erde Dänemarks“ und „Es war ein Land" zum Ausdruck. Die Dichterin starb im Oktober 1964 in Bad Salzuflen. Seit 1948 lebte sie in Bad Nenndorf und war Ehrenbürgerin der Gemeinde. Ihr letzter Wohnsitz ist zur Gedenkstätte geworden, wo die Agnes-Miegel-Gesellschaft ihren Sitz hat. Heute werden ihre Werke neu aufgelegt, nachdem man sie nach dem Krieg zeitweise totschweigen wollte. Während sich die Miegel-Rezeption in der Bundesrepublik eher versachlicht und verwissenschaftlicht hat, zeigt vor allem die junge Generation russischer Intellektueller eine tiefe und gefühlsbetonte Miegel-Verehrung. „Sie drückt unsere Seele aus." Seit 1992 gibt es eine russische Sektion der Agnes-Miegel-Gesellschaft, und Übersetzungen der Werke ins Russische liegen vor. Die „Internationale Ernst Wiechert-Gesellschaft (IEWG)", die 2009 ihr zwanzigjähriges Bestehen feiern kann, hat russische, polnische, englische und niederländische Mitglieder, ferner Mitglieder aus der Schweiz, aus Italien und Litauen. Ihre Publikationen umfassen drei Bände mit wissenschaftlichen Beiträgen und inzwischen zwölf sogenannte "Mitteilungen", Broschüren mit Nachrichten über die Aktivitäten der Gesellschaft, über Neuerscheinungen und Zeitungsberichte bezüglich des Dichters und seines Werkes. Die IEWG hat es sich zum Ziel gesetzt, das Werk Ernst Wiecherts bekannt zu machen und wissenschaftlich zu bearbeiten. Auf die internationale Verbreitung wird besonderer Wert gelegt. Die Lebenserinnerungen Wiecherts, „Wälder und Menschen" und „Jahre und Zeiten", sind ins Russische übersetzt worden, ferner bereits viele Gedichte. Von der Novelle „Percy - Geschichte eines Knaben“ liegt seit 2006 eine englische Übersetzung vor. 2. Maler und Bildhauer Nun soll noch ein Blick auf die bildende Kunst geworfen werden. 1841 wurde die Königsberger Kunstakademie von Oberpräsident Theodor von Schön, einem der preußischen Reformer, gegründet. Es existierte bereits die "Kunst- und Zeichenschule", 1790 von Gottlieb Theodor von Hippel gegründet. Bedeutende Maler und Bildhauer gingen aus der Königs-berger Kunstakademie hervor. Internationalen Ruhm erlangte Lovis Corinth, geb. 1858 in Tapiau. Er trat 1876 in die Kunstakademie ein, studierte später in München und arbeitete in Paris und Berlin, wo er eine Malschule eröffnete und Leiter der Session wurde. Er heiratete seine Schülerin Charlotte Berend, wurde Dr. h. c. der Albertina und schenkte der Kirche seiner Heimatstadt Tapiau ein berühmtes Tryptichon, das 1945 verloren ging. Er wurde einer der führenden Impressionisten mit Max Liebermann. Nach einem Schlaganfall 1911 malte er trotz der Beeinträchtigung weiter und schuf sein beeindruckendes impressionistisches Alterswerk. Er starb 1925 in Zandvoort in Holland. Es können nicht alle Künstlerpersönlichkeiten genannt werden. Ludwig Dettmann (1865 bis 1944) war von 1900-1919 Direktor der Kunstakademie. Von Emil Doerstling (1859-1940) stammt das bekannte Gemälde "Kants Tafelrunde", das heute in dem Kant-Museum im wieder errichteten Dom in Königsberg zu sehen ist. Otto Erich Eichler (1871-1904), Erich Behrendt (1899-1983), Ernst Mollenhauer (1892-1963), Maria Seek (1861-1935), Arwed Seitz (1874-1933) - sie alle waren fasziniert von der ostpreußischen Landschaft und malten die Nehrung, die Steilküste, das Samland und die Seen Masurens. Der Tiermaler Hans Kallmeyer (1882-1961), studierte die Elche und die Vogelwelt. Der Kalender "Ostpreußen und seine Maler", den die Landsmannschaft Ostpreußen seit Jahrzehnten herausgibt, zeigt ihre Werke und die anderer Künstler und hält so die Schönheiten Ostpreußens fest. Auch Eduard Anderson (1873-1947) malte hauptsächlich die ostpreußische Landschaft und setzte sich ab 1921 für den Ausbau des Schlosses zu einem Zentralmuseum ein. Von den vielen bedeutenden Historienmalern soll hier nur Johannes Heydeck (1835-1910) genannt werden. Sein Porträt "Immanuel Kant" (1872) und sein Gemälde "Königin Luise auf der Flucht nach Memel im Januar 1807" machten ihn weithin bekannt. Ein Vertreter des Realismus war der Maler Emil Neide (1843-1908). Seine Gemälde "Die Lebensmüden" (1885) und "Vitriol" (1891) riefen Aufsehen hervor. Auf Glasmalerei und Wandmosaike spezialisierte sich Eduard Bischoff (1890-1974). Zudem schuf er 200 Aquarelle. "Eine Ära für Königsberg" sei der Bildhauer Stanislaus Cauer (1867-1943) gewesen, seit 1907 Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie. Er schuf das Schillerdenkmal, das die Eroberung Königsbergs überstanden hat, den Evabrunnen, zahlreiche Büsten und ein Flachrelief von E.T.A. Hoffmann. Hermann Brachert (1890-1972) kam 1919 als Professor für Bildhauerei und Goldschmiedekunst nach Königsberg. Er schuf etwa zwanzig überlebensgroße Plastiken, Figuren in Stein und Bronze und aus Bernstein geschnitten. Heute stehen seine Arbeiten im Park in Rauschen, u. a. die „Wasserträgerin", und in Georgenswalde gibt es ein „Hermann-Brachert-Museum". Sein Schüler Georg Fuhg (1898-1976) schuf Büsten von dem Philosophen Hamann, von Kant und Kopernikus und von Agnes Miegel. Sein bekanntestes Werk ist die Sitzgestalt Walthers von der Vogelweide, die in deutscher Zeit im Tiergarten und 1992 wieder vor der Domruine stand. Die ostpreußischen Landsleute verdanken ihm die lebensgroße Bronzeplastik des Trakehners „Hessenstein" vor dem Ostheim in Bad Pyrmont. Einer Künstlerpersönlichkeit von europäischem Rang sei noch besonders gedacht: Käthe Kollwitz (1867-1945). Sie war die Enkelin des Theologen und Gründers der Freien evangelischen Gemeinde in Königsberg Julius Rupp und heiratete 1881 den Arzt Dr. Karl Kollwitz aus Rudau. Sie war ab 1887 die Schülerin von Prof. Emil Neide in Königsberg und ging später mit ihrem Mann nach Berlin. Ihre graphischen Arbeiten stellten vorwiegend soziales Elend dar. Expressionistischer und realistischer Stil vereinigen sich in ihrem Werk. Von ihren Plastiken erlangte das Gefallenenmal in Essen von 1919 besonderen Ruhm. 1919 wurde sie Mitglied der Preußischen Akademie der Künste und erhielt den Professorentitel. 1929 wurde ihr der Pour le Mérite der Friedensklasse für Wissenschaften und Künste verliehen. 3. Musiker Königsberg war immer eine Musikstadt. Schon am Hofe Herzog Albrechts wurde die Musik gepflegt. Der Komponist Heinrich Albert (1604-1651) vertonte die Dichtungen Simon Dachs. 1650 erschien seine "Musikalische Kürbislaube“. Ein bedeutender Komponist war Johann Friedrich Reichardt (1752-1814), Zeitgenosse und Schüler Kants, der u. a. Goethe-Gedichte vertonte. Der Dichter E.T.A. Hoffmann war ebenfalls ein bedeutender Komponist. Im Opernhaus am Paradeplatz war der junge Richard Wagner Kapellmeister, Franz Liszt erhielt den Ehrendoktor der Albertina, 1879 fand die deutsche Erstaufführung der Oper „Carmen" in Königsberg statt. Im 20. Jahrhundert bereicherten zahlreiche Künstler aus Ostpreußen das Musikleben. Otto Besch (1885-1966), ein Schüler Humperdincks, Lehrer für Komposition am Königsberger Konservatorium, schrieb nach dem Krieg Sonaten und Lieder nach Gedichten von Agnes Miegel und ostpreußische Tänze. Dem Königsberger Herbert Brust (1900-1969) verdanken die Landsleute das "Ostpreußenlied" mit dem Text von Erich Hannighofer (1908-1945). Professor Brust komponierte Orchesterwerke, Orgel- und Klavierstücke und Lieder. Die Nehrung, die Elche und der Bernstein blieben sein Thema. Der gebürtige Königsberger Werner Richard Heymann (1896-1961) wurde durch seine Filmmusik bekannt. Anfangs komponierte er Sinfonien und Streichquartette, ging dann nach Berlin und wandte sich der Filmmusik zu. „Die drei von der Tankstelle", „Der Kongress tanzt" und „Bomben auf Monte Carlo" waren Kassenschlager. 1933 ging er wegen seiner jüdischen Herkunft nach Hollywood, kehrte aber nach dem Krieg nach München zurück. Als bedeutendster ostpreußischer Komponist des 20. Jahrhunderts gilt Heinz Tiessen (1887-1971). Er empfing Anregungen von Richard Strauss für seine Symphonien. 1930 wurde er in die Preußische Akademie der Künste gewählt. 4. Akademische Geistesgrößen Wie nur eine Auswahl großer Künstlernamen hier aufgeführt werden kann, so kann abschließend auch nur eine Auswahl großer Namen, die mit der Albertina verbunden sind, genannt werden: Johann Friedrich Herbart (1776-1841), Philosoph mit großer Wirkung auf die Pädagogik; Karl Rosenkranz (1805-1879), Philosoph und Aufklärer; Karl Lachmann (1783-1851), Klassischer Philologe und Begründer der Deutschen Philologie; Oskar Schade (1826-1906), Germanist; Ludwig Friedländer (1824-1909), Klassischer Philologe. Besondere Erwähnung verdient auch Eduard von Simson (1810-1899), Rechtswissenschaftler, 1848 Abgeordneter der Deutschen Nationalversammlung und als solcher in die Paulskirche eingezogen, 1848 zum Präsidenten der Deutschen Nationalversammlung gewählt. Simson war von 1871-1874 Reichstagspräsident und von 1879 bis 1890 Reichsgerichtspräsident. 1883 wurde er Ehrenbürger von Königsberg. Die Liste bedeutender Größen der Albertina lässt sich fortsetzen mit Felix Dahn (1834-1912), Rechtswissenschaftler; Hermann von Helmholtz (1821-1894), Arzt und Physiker, Professor an der Albertina von 1849-1855; Friedrich Wilhelm Bessel (1784-1846), gebürtiger Mindener, Astronom, Mathematiker und Physiker, Autodidakt. 1810 wurde er nach Königsberg berufen, wo er von 1811 bis 1813 die Sternwarte bauen ließ und einrichtete. In zahlreichen Veröffentlichungen legte er die Ergebnisse seiner Forschungen über die Schwankung der Erdachse, die Orte von 75.000 Sternen, das Vorrücken der Tag- und Nachtgleiche und vieles andere dar. David Hilbert (1862-1943), Mathematiker, veröffentlichte Arbeiten über axiomatische Probleme und Quantenmechanik, schrieb „Grundlagen der Geometrie", wurde 1930 Ehrenbürger seiner Vaterstadt Königsberg. Konrad Lorenz (1903-1989), Verhaltensforscher, Professor an der Albertina von 1940-1945; Walter Hubatsch (1915-1984), Historiker und Germanist, Verfasser von Werken wie „Weg und Wirkungen ostpreußischer Geschichte" und „Ostpreußische Kirchengeschichte". Vermächtnis So bitter der Verlust der Heimat ist, das kulturelle und geistige Erbe Ostpreußens ist eine Brücke zu den heutigen Bewohnern. Russische Studenten schreiben ihre Diplom-Arbeiten über E.T.A. Hoffmann und Hermann Sudermann, der 120. Geburtstag Ernst Wiecherts wurde in Sensburg und Königsberg groß gefeiert, die russische Kant-Gesellschaft hält ihre Kongresse gern in Königsberg und Rauschen ab, die heutigen Königsberger Studenten haben das "Bohnenmahl" der "Gesellschaft der Freunde Kants" wiederentdeckt: am Geburtstag des Philosophen, am 22. April, wird ein Gedächtnismahl gehalten, bei dem eine silberne Bohne in eine Torte gebacken wird. Wer sie bekommt, ist "Bohnenkönig" und musste früher im nächsten Jahr eine „Bohnenrede" auf Kant halten, heute eine Seminararbeit schreiben. Der Brauch geht auf einen Vorschlag von Bessel zurück. In der Monatszeitung „Königsberger Express" sind fast alle ostpreußischen Autoren inzwischen vertreten, in Deutsch und meist in der russischen Übersetzung von Sem Simkin. Auf polnischer Seite genießt Herder große Verehrung, und heutige Autoren wie Siegfried Lenz und Arno Surminski sind allgemein bekannt. Deutsch-polnische und deutsch-russische Seminare zur Literatur, Kunst, Geschichte und Philosophie sind schon lange ein fester Bestandteil des gemeinsamen kulturellen Lebens. Hinzu kommt die Restaurierung deutscher Baudenkmäler, die von Deutschen, Polen und Russen gemeinsam durchgeführt wird. Die Landsmannschaft Ostpreußen hat mit der Pflege und Erhaltung des kulturellen Erbes einen Beitrag zur europäischen Kulturgeschichte geleistet, der für künftige Generationen von großem Wert sein wird. Historiker, Literaturwissenschaftler, Künstler, Kunsthistoriker und Architekten aller Nationen werden es ihr danken.
Die
Gedenkschrift umfasst 224 Seiten
und ist ab sofort |
Stand: 14.11.2024 |