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Krieg um jeden Preis Als Erika Steinbach, die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, 2010 auf die historische Tatsache polnischer Kriegsvorbereitungen bereits Monate vor dem 1. September 1939 hinwies, löste sie Pawlowsche Reflexe aus. Hatte die CDU-Politikerin es doch gewagt, ein Kernelement bundesrepublikanischer Geschichtsideologie, die „Alleinschuld“ des NS-Reiches an der „Entfesselung“ des Zweiten Weltkrieges, „revisionistisch“ anzuzweifeln. Dabei fühlte Steinbachs Einlassung nur in die Peripherie der komplexen Vorgeschichte des vor 75 Jahren ausgebrochenen Krieges vor. Die zentralen Forschungsfragen zu den internationalen Beziehungen zwischen Münchner Abkommen und Konflikteskalation um Polen im Sommer 1939 nehmen hingegen die Arbeiten Stefan Scheils in Angriff. Sein jüngstes Werk, schmal an Umfang, inhaltlich aber so gewichtig wie provokant, will keineswegs den Spieß umdrehen und die Kriegsschuld in Warschau abladen. „Alleinverantwortungsszenarien“ erteilt es eine Absage. Was nicht bedeutet, den großen Anteil der permanent mit dem Krieg kalkulierenden Lenker polnischer Außenpolitik unter den Teppich zu kehren. Um jedoch deren Motive zu verstehen, ist der Blick zurück auf die Entstehung polnischen Nationalbewußtseins und auf die Politik des dadurch konditionierten Führungspersonals des 1918 wiedergeborenen Staates zu richten. Traumziel war ein großpolnisches Reich zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Die in Versailles mit Hilfe gefälschter Karten und Statistiken erreichten Grenzen galten den Warschauer Imperialisten als vorläufig. Aberwitzigste Forderungen richteten sich auf Kolonien, auf Territorien für die zu vertreibenden Juden, vor allem indes auf weiteres deutsches Land – bis kurz vor Braunschweig. Es habe selbst im Europa des „nationalistischen Zeitalters“ keine vergleichbaren, Millionen Menschen das Existenz- und Heimatrecht absprechenden, mit ethnischen Säuberungen großen Stils und „Krieg um jeden Preis“ planenden Ambitionen gegeben. Diese Disposition zum Zivilisationsbruch destabilisierte Mitteleuropa und verleitete das Warschauer Militärregime in den 1930ern zu einem vom Größenwahn umwehten Vabanquespiel, das in der Katastrophe endete. Stefan Scheil: Polen 1939. Kriegskalkül,
Vorbereitung, Vollzug. Kaplaken Band 37. Verlag Antaios, Schnellroda 2013,
gebunden, 96 Seiten, 8,50 Euro |
Stand: 14.11.2024 |