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Das Ende der Bescheidenheit Festvortrag von Dr. Klaus Rainer Röhl Als meine Großmutter aus Danzig 1947 an dem ersten deutschen Grenzbahnhof ankam, hatte sie nicht einmal mehr Schuhe, eine leere Kunststoff-Handtasche und kein Gepäck, sondern nur das, das sie auf dem Leib getragen hatte. Kurz vor der Grenze war der Zug von polnischen „Partisanen” angehalten und die 1.500 Insassen aus Danzig vollständig ausgeplündert worden. 1945 waren sie und mein Großvater trotz aller Warnungen in Danzig geblieben. Er war nicht in der "Partei" gewesen, aber er war Luftschutzwart in seinem eigenen Haus, das genügte. Die Russen nahmen ihn mit, er kam in ein "Arbeitslager". Dort ist er wegen Entkräftung zusammengebrochen und wurde von den Russen mit einem Spaten erschlagen. Ein Mithäftling hat es meiner Großmutter erzählt. Sie selbst bekam einen kleinen Zettel von der Kommandantur, sehr viel später, als die Polen schon die Verwaltung von Danzig übernommen hatten: Tod durch Tuberkulose. Sie selber, 62 Jahre alt wurde "nur" vergewaltigt, immer wieder. Nun saß sie in dem polnischen Güterwaggon ohne Schuhe und Mantel. Die jugendlichen Banditen nahmen sich noch die Zeit, zwischen dem Ausplündern der Menschen ein paar der jungen Mädchen zu vergewaltigen, dann konnte der Zug, nach einem Aufenthalt von 8 Stunden weiter in Richtung Westen fahren. Das polnische Zugpersonal und die Miliz waren machtlos, unternahmen aber auch nichts. Die Banditen waren ehemalige Partisanen, die nun Kriminelle geworden waren." Solche Überfälle waren keine Ausnahme. Sie waren die Regel. Von der Ostsee bis zum Sudetenland. Tausende von Flüchtlingen haben darüber berichtet. Bei der Ausreise aus Polen ebenso wie aus der CSSR. Die Flüchtlinge waren ja rechtlos. Und niemand im sowjetischen Ostblock konnte sie schützen oder wollte es auch. Das war die humane und ordnungsgemäße Vertreibung, wie sie die Großen Drei in Potsdam in Artikel XIII. vereinbart hatten. Den 12 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen, die bis 1949 in den Westen kamen, folgten bis 1994 noch einmal 3,5 Millionen Aussiedler. Außerdem flohen aus dem Gebiet der Sowjetzone der späteren DDR bis Ende 1989 4,6 Millionen. 20 Millionen Deutsche verloren ab 1944 Heimat, Vermögen und Land. 2.167.000 Menschen verloren durch Flucht und Vertreibung ihr Leben. Fast alle waren Frauen, Kinder und Greise. Zwangsumsiedlungen hatte es im 20. Jahrhundert auch vorher schon gegeben. Die Vertreibung der 1,5 Millionen kleinasiatischen Griechen aus ihrer Heimat hatte Roosevelt als Vorbild erwähnt, Stalin deportierte in den zwanziger und dreißiger Jahren einige Millionen seiner russischen Landsleute, die ihm unzuverlässig erschienen, in die Öd- und Permafrostgebiete Asiens. Geahndet wurden diese Verbrechen nie. Ebenso wie die Deportation und Ermordung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten ist auch die Vertreibung der Deutschen und die Ermordung von 2,2 Millionen dieser Flüchtlinge ein einmaliges Ereignis in der neueren Geschichte, das jede bisher gekannte geschichtliche Dimension sprengt. Hitlers Deportationen und die Ermordung der europäischen Juden wurden im Nürnberger Prozeß als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Zu Recht. Zu Recht nach dem Gerechtigkeitsempfinden der vertriebenen Völker und formal rechtens Kraft eines neuen, nachträglich geschaffenen Gesetzes über die Verurteilung von Kriegsverbrechen, nicht ganz unzutreffend „Siegerrecht” genannt. Doch dieses in Nürnberg geschaffene Recht mußte, wenn es dauerhafte Billigung der Völker finden wollte, normativ werden und durfte nicht nur für eine beschränkte Gruppe von Menschen angewandt werden und für andere nicht. Zwar wurden wegen der Schwere der Verbrechen der Nationalsozialisten und mit der moralischen Parteilichkeit, die Richter und Ankläger der Nürnberger Prozesse beherrschte, alle Anträge der Verteidigung, die sowjetrussischen und alliierten Kriegsverbrechen wie den unbeschränkten Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung und die Vertreibungs-Verbrechen wenigstens zu Protokoll zu nehmen, abgelehnt - von einem Gericht, das schließlich aus Vertretern der beschuldigten Siegermächte bestand, einschließlich der Russen. Aber der Gedanke eines übergreifenden Rechts, nach der alle Kriegsverbrechen strafbar sein mußten, lebt mit der Einrichtung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag fort. Nach diesem Recht werden die Kriegsverbrechen der Serben und Kroaten von 1997-1999 abgeurteilt, steht der serbische Diktator Milosewitsch vor Gericht. Dürfen die Kriegsverbrechen der alliierten Bomberkommandos, die Massenmorde- und Vergewaltigungen der Roten Armee, die Vertreibungsverbrechen der Tschechen und Polen nach einem anderen Maßstab beurteilt werden? Über die Vertreibung der 15 Millionen Deutschen urteilte der englische Philosoph und Mathematiker Bertrand Russel schon am 23. Oktober 1945 in der Londoner Times:
Solange in unserem Land Trauer und Mitgefühl verdächtigt, das Leugnen geschichtlich gesicherter Tatsachen mit Gefängnis bestraft werden, möge nicht nur das „Holocaust-Leugnen”, sondern auch das Leugnen des Bombenterrors und Vertreibungsverbrechen, der Todesmärsche und Vernichtungslager ein Straftatbestand werden. Nicht nur das ,,Auschwitz-Leugnen, auch das Katyn-Leugnen, Dresden-Leugnen, Nemnersdorf-Leugnen, Brünn-Leugnen muß strafbar werden. Was wir brauchen, ist nach rund mehr als 60 Jahren eine kühle, leidenschaftslose Beschreibung dessen, was zwischen 1943 und 1948 in Deutschland geschah, wie wir der Welt mitspielten und wie uns die Siegermächte mitspielten. Jenseits der Larmoyanz einiger Opfervertreter und dem rechthaberischen Ton der Aufrechnung. Von daher ermitteln wir für heute die Notwendigkeit einer wieder selbstbewußten Nation. Aber wer informiert die Nachgeborenen? Unsere Schulkinder werden, wenn ihre Eltern und Großeltern nicht höllisch aufpassen, systematisch dumm gehalten: Durch digitale Video-Spiele, bei denen sie selber drei Stunden am Tag mit Laserstrahlen auf Monster schießen und gewonnen haben, wenn sie möglichst viele finstere Gestalten erledigt haben, scratsch! boing! del! Oder durch den Geschichtsunterricht in der Schule. Durch einfaches Vorenthalten der Wahrheit. Über ihre eigene Geschichte, ihre Herkunft, also ihre Wurzeln erfahren sie nichts. Wana pistdu, uer pistdu? fragten unsere Vorfahren auf althochdeutsch vor 1200 Jahren. Von woher kommst du? Wer bist du? Sage mir woher du kommst und sich sage dir, wer du bist. Darauf gibt es in der Schule nur eine selektive Antwort, eine vorsortierte Wahrheit: Die ganze deutsche Geschichte war nur eine Vorstufe zu Hitler. Vorher gab es beschränkte Nationalisten, aggressive Ausländerfeinde, Rassisten, nachher Hitler, Gaskammern, Krieg. Heute glücklicherweise Europa, Friedenspolitik, Demokratie. Aber in Gefahr. Wie ist denn das Bild eines, wie wir seit der Pisa-Studie wissen, ohnehin nur mittelmäßig ausgebildeten Schülers von seinem eigenen Land, von Deutschland? Wie werden die, mit viel Internet und wenig Geduld schließlich doch ihr Abitur machenden Schüler als Studenten weitergebildet? Was wissen Schüler und Studenten über Deutschland? Daß es vor 1800 gar nicht existierte, später einen verhängnisvollen Weg in die Zukunft einschlug, unter Bismarck mit Blut und Eisen bereits Großmachtgeltung auf Kosten fremder Völker erstrebte und erst recht unter dem späteren Kaiser Wilhelm I. dem „Hunnenkaiser”, den Ersten Weltkrieg vorbereitete und anzettelte, als dessen Folge Hitler den Zweiten Weltkrieg auslöste und unsägliches Leid über Millionen Menschen brachte. Warum Hitler gewählt wurde und mit welchem parlamentarischen Mechanismus Hitler an die Macht gelangte, bleibt den nachkommenden Generationen, die über keine eigenen Erfahrungen aus dieser Zeit mehr verfügen, unklar, rätselhaft. Sie hätten ihn nicht gewählt. Wie war es nur möglich! Sagen alle Schulklassen nach dem Besuch der KZ-Gedenkstätten oder der Wehrmachts-Ausstellung. Gleich, ob sie die grob verfälschenden Bilder-Montagen der Reemtsma-Schau von 1998 gesehen haben oder die reformierte, von einigen der gröbsten Fälschungen befreite Fassung von 2002. Eine Generation und nun schon deren Kinder, die seit 1968 gelernt haben und in fast allen Schulen noch heute dazu angehalten werden, weder den Erzählungen ihrer Eltern noch ihrer Großeltern Glauben zu schenken, dafür aber SPIEGEL, stern und Monitor für sichere Informationsquellen zu halten, den Nachrichtensprecher Ulrich Wickert für einen überparteilichen Fachmann und den dauer-betrübten Bednarz für einen nachdenklichen Wahrheitssucher. Unsere Kinder und Enkelkinder stellen sich die Zeit zwischen 1939 und 1945 als eine freudlose, wirre Zeit des Elends und des Terrors vor, eine Welt, in der die Menschen ständig marschierten, Juden in die Gasöfen transportierten und dazu Sieg-Heil riefen, Hitlerreden hörten - von denen sie einige Sekunden sich überschreiende, röhrend verstärkte Sequenzen kennen - und danach wieder Marschmusik hörten, marschierten und wieder Sieg-Heil brüllten. Möchten sie Kind oder Enkelkind von solchen Leuten sein? Wie konntet ihr das nur zulassen, Papi? Wie konnte das nur geschehen? Die jungen Leute, die dritte Generation nach der Umerziehung ist, über das Dritte Reich und seine Bewohner befragt, sprachlos. Wie war das möglich, Opa? Da muß man lange ausholen, wenn man das seinen Kindern und Enkelkindern erklären will. Man muß ihnen erklären, daß auch wir, ihre Eltern und Großeltern unter Hitler in einem Unrechtsstaat lebten, der genau so skrupellos und mörderisch war wie die Sowjetunion unter Stalin. In einer Diktatur, die wir nicht gewählt hatten. Unsere Eltern oder Großeltern hatten, vielleicht zu den 33,56 % der Wähler gehört, die bei der letzten freien Reichstagswahl am 6. November 1932 Hitler gewählt und so die NSDAP zur stärksten Partei gemacht hatten. Da auch die stalinistische KPD knapp 20% der Stimmen erhalten hatte und also eine „negative Mehrheit” der totalitären Parteien entstanden war, blieb dem Reichspräsidenten Hindenburg nach einiger Zeit keine andere Wahl, als Hitler mit der Bildung einer Regierung zu beauftragen, zusammen mit den Konservativen. Bei der darauf folgenden Reichstagswahl im März schenkten 43 % der Wähler Hitler das Vertrauen und ermächtigten ihn damit - die KPD war nach dem Reichstagsbrand verboten - mit Zustimmung des Parlaments die parlamentarische Demokratie bis zum Juli 1933 Stück für Stück abzuschaffen und eine Diktatur zu errichten. Hier endet unbezweifelbar die Schuld jener 13 Millionen wahlberechtigten Urgroßväter- und -mütter von 1932, die Hitler gewählt hatten. Nicht, weil er versprochen hatte, Juden zu ermorden, sondern die Arbeitslosigkeit zu beseitigen – über die Hälfte seiner Neuwähler hatten vorher KPD gewählt (1). Diesen Urgroßeltern wäre höchstens der Vorwurf zu machen, daß sie nicht spätestens 1934, hellsichtig den Krieg und die späteren Deportationen und Kriegsverbrechen vorausahnend, den Kampf gegen die Diktatur aufnahmen und selbst Gefängnis, Folter und Tod nicht scheuend, versuchten, Hitler zu stürzen. Gegen Gestapo, Polizei, Justizwillkür und den Terror auf den Straßen - die SA errichtete bereits die ersten, „wilden” KZ-Lager. Es bestünde die Schuld der Deutschen also darin, keine Helden des Widerstands gewesen zu sein. Wer, in welchem Land der Erde wirft da den ersten Stein? Wir, die heute Siebzigjährigen, waren damals Kinder. Wir waren in die Diktatur hineingeboren und wuchsen in ihr auf. Wir besaßen nie die Freiheit, keine freie Presse, keine Parteien, keine freien Zeitungen und Rundfunkprogramme und schon gar keine fünfzig Fernseh-Programme oder ein Internet. Trotzdem lebten wir nicht ständig in einem Ausnahmezustand. Wir lebten, wie ihr in einem Alltag. Unser Alltag bestand nicht in Hitlerreden und Marschmusik. Wir hörten Tanzmusik oder Swing, oft im englischen Rundfunksender. Wir begeisterten uns nicht für Hitler, sondern für die Nachbarstochter. Wir gingen zur Schule, gingen ins Kino oder in die Eisdiele und auf den Sportplatz, verliebten uns und schrieben Gedichte, fuhren im Sommer an die See oder in die Berge. Unser Problem bestand darin, uns eine lange Hose zu beschaffen, damit wir trotz Jugendverbot ins Kino eingelassen wurden, um Kristina Söderbaum nackt ins Wasser gehen zu sehen. Manche schwärmten auch für Zarah Leander oder Marikka Röck. Wir haben in unsrem Leben sehr viel über die Um-Erziehung der Deutschen nach 1945 gehört und darunter gelitten. Die englischen und amerikanischen Urnerzieher und die deutschen Emigranten die ihnen halfen, waren nicht deutschfeindlich. Sie hatten Angst vor Deutschland, obwohl es am Boden lag, die Juden unter ihnen besonders. Doch Angst ist kein guter Ratgeber. Schweigegebote und Tabus auch. Das Verbot, über die Bombenopfer und die Vertreibungsopfer zu sprechen war falsch. Die amerikanischen Umerzieher und ihre deutschen Nachfolger von 1968 wollten, daß nie wieder von deutschem Boden ein Krieg ausgeht. Deshalb wollten sie ein ganzes Volk erziehen, Aber indem sie dem ganzen Volk 60 Jahre lang verboten haben, von den Kriegsverbrechen und dem Völkermord an den Deutschen zu sprechen, die Millionen Opfer des Bombenkriegs und der Vertreibung zu betrauern, haben sie es deformiert. 60 Jahre lang war es verpönt und unerwünscht, von den Bomben auf Dresden zu sprechen, von dem Todesrnarsch von Brünn und dem Untergang der „Wilhelm Gustloff”. Dieser Vorgang schlug ab 2002 um. Die ersten Bücher und Fernseh-Dokumentationen nahmen sich des Themas an. Aber immer noch ist es verpönt, von den Leiden der Vertriebenen zu sprechen, immer noch bleiben Themen tabu. So wurde in der von der rot-grünen Regierung in Auftrag gegebenen Bonner Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration” das Thema der massenhaften Vergewaltigungen deutscher Frauen und halbwüchsiger Mädchen einfach ausgespart. Alle Proteste Kölner Frauenorganisationen und prominenter Wissenschaftler blieben erfolglos. Wir befinden uns in einer Übergangszeit. Weil so viel verschwiegen wurde, wird nichts mehr geglaubt. Die Sechzehnjährigen suchen die Wahrheit im Internet und finden die Web-Seiten der Neo-Nazis. Bevor neues Unrecht gegen das alte aufsteht, muß man unseren Kindern und Enkelkindern eine Antwort auf ihre Fragen nach der deutschen Geschichte geben, Eine Antwort, mit der sie leben können, ohne sich selber zu verbiegen. Die Wahrheit ist: Wir haben zwölf Jahre in einer Diktatur gelebt, die jeden von uns bedrohte, Juden genau so wie Kommunisten oder Sozialdemokraten und Offiziere und Mannschaften der Wehrmacht. Es war eine dunkle Epoche unserer Geschichte. Aber sie kann nur von einem selbstbewußten Volk verarbeitet werden und nicht von Menschen, die zur Anpassung, Verdrängung und Heuchelei erzogenen wurden, Menschen, die sich selber verachten. Deshalb sagen wir es lieber heute als morgen denen, die nach uns kommen: Wir Deutsche haben eine vieltausendjährige Geschichte, auf die wir kritisch blicken sollten, aber auch genauso stolz sein dürfen wie Franzosen, Polen und alle anderen Völker Europas. Diese Geschichte war keineswegs eine Vorstufe und Vorbereitung zu Hitlers Dritten Reich, wie uns Daniel Jonah Goldhagen und seine Anhänger uns weismachen wollten. Im Gegenteil. Es ist die Geschichte sehr freiheitsliebender und deshalb häufig aufsässiger, selbstbewußter Menschen. Unsere Kinder und Enkelkinder sollen wissen, daß falsch ist, die deutsche Geschichte als eine Vorgeschichte Hitlers darzustellen. Vielleicht geschah auch das in guter Absicht, aber für die Entwicklung eines freien Denkens in einem freien demokratischen Land war es verhängnisvoll. Umerziehen hieß ab 1945 zum großen Teil auch umdeuten. An der Wahrheit herumfummeln. Nicht so grob fälschen wie Stalins Erben es taten. Aber verfälscht wurde oft genug durch Verschweigen. Erinnerungen wie mit einem fotografischen Weichzeichner verschwommen werden und am Ende verschwinden zu lassen. Deshalb schrieb bis 2002 kein bedeutender deutscher Dichter über den Untergang der „Wilhelm Gustloff”. Aber ein Volk ohne Gedächtnis ist auch ist auch ohne Zukunft. Es kann sich nicht lieben. Wir müssen uns der Jahrtausende alten deutschen Geschichte nicht schämen. Die ganze Geschichte unserer Vorfahren, das bedeutet vor allen den ausgeprägten, fast schon zum Fanatismus neigenden Gerechtigkeitssinn wieder kennen lernen und ihre überstarke, fast schon kauzige Freiheitsliebe nicht zu übersehen, die schon Tacitus, im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung bei den mittelgermanischen Stämmen auffiel (2). Sie sind unsere Vorfahren, die Vorbewohner unseres Landes. Die Germanenstämme zwischen Rhein und Oder, die Tacitus beschreibt, dürfen wir mit dem gleichen Recht als unsere Vorfahren ansehen, wie die heutigen Griechen die Archäer, Jonier, Danaer und Pelasker aber selbst die Mykener als ihre Vorfahren ansehen. Armin der Cherusker und der Dichter des Hildebrandsliedes sind so gut „Deutsche” wie Homer oder Sappho Griechen waren, griechisch dachten und griechisch schrieben. Die mittelgermanischen Völker, die zur Zeit des Tacitus zwischen Rhein und Oder lebten, sind nicht nur wegen der Weitergabe ihrer Gene, der Vererbung die Vorfahren der Deutschen. Sie haben uns ihre Sprache, das Diutisc, nur wenig verändert und mit den charakteristischen, sonst nirgendwo vorkommenden Eigenarten (Betonung auf der Stammsilbe z.B.) hinterlassen, das von der Ostseeküste bis ins kleinste Alpendorf verstanden wird. Sie wohnten auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik, sie wanderten nicht aus nach Afrika oder Spanien wie die Nordgermanen, sie waren und sind unsere leibhaftigen Vorfahren, leibhaftig bis zum Nachweis in der Gen-Analyse. Diese unsere Vorfahren hatten ein ausgeprägtes, von Tacitus, aber auch von anderen antiken Schriftstellern als besonders empfindlich beschriebenes Gerechtigkeitsgefühl und die Abneigung gegen Fremdherrschaft. Die Cherusker – auch in ihrer taktischen Klugheit und dem Erfindungsreichtum ihres Widerstandkampfs – die römischen Behörden sprachen von List und Falschheit - waren praktisch die ersten Partisanen in Europa. Wie der Vietkong kämpften sie für die Freiheit. Für das Recht, ohne römische Besatzung zu leben und ihr Leben selber zu bestimmen. Die Ereignisse der deutschen Geschichte zeugen kaum von der „eingeborenen Mordlust” der Deutschen, die die Umerzieher fürchteten, wohl aber von einer tief verwurzelten Abneigung gegen jede Einschränkung ihrer Freiheit als dem höchsten Gut eines „Freien” im Gegensatz zu den Sklaven oder Hörigen (3). Vom Sachsenaufstand gegen Karl den Großen bis zum Freiheitskrieg gegen Napoleon. Sich der Geschichte erinnern, das bedeutet auch, der Opfer unseres Volkes zu gedenken. Der Versuch, die kollektive Erinnerung der Deutschen an das Grauen des Bombenkrieges, die Vertreibung der Deutschen aus den Ostprovinzen, der Ermordung von über zwei Millionen, die Greuel der massenhaften Vergewaltigung deutscher Mädchen und Frauen durch eine einseitige Geschichts-Klitterung zu „übermalen” oder auszulöschen, wirkt nach den Kriegen und Vertreibungen der letzten Jahre seltsam unzeitgemäß und überholt. Zu fordern ist die Wiederherstellung der verfälschten, abgetriebenen, gestohlenen geschichtlichen Erinnerung. Die Wiedergewinnung der Identität. Wie einst 1954, beim "Wunder von Bern". 2006, Wunder gibt es immer wieder. Unvorstellbar, fast wie 1954, das ganze Land ein Fahnenmeer. 60.000 Menschen im Stadion, die das Deutschlandlied laut mitsingen, von dem wir angenommen hatten, daß unsere Jugendlichen es gar nicht mehr kennen. Ist das nur ein Fest, das vorüber ist, wenn die Straßenreinigung kommt wie bei der Love-Parade, dem Schwulenfest und dem Kölner Karneval? Ich glaube nicht. Auch das Hambacher Fest und das Fest auf der Wartburg war zuerst nur ein Fest. Und einte die Nation. Es sind Tabus und krampfhafte Verspannungen, die sich da überraschend schnell von selbst aufgelöst haben, und sie lösen sich weiter auf. Das wird auch nach der Weltmeisterschaft so bleiben. Allmählich bildet sich statt der Berliner Republik mit ihrem Homunkulus „Verfassungspatriotismus” im Bewußtsein der Menschen eine deutsche Republik heraus, selbstbewußt wie andere Völker. Ein Deutschland einig, Vaterland und das ist — nun einmal wirklich — gut so. -o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-o-
____________ (1) Vgl. Klaus Rainer Röhl, Nähe zum Gegner. Kommunisten und Nationalsozialisten im Berliner BVG-Streik von 1932. Frankfurt/m 1994, S, 215 ff. (2) Hier wird von den durch die Schule der Umerziehung gegangenen Wissenschaftlern immer wieder vorgebracht, daß die „Germania” lediglich als eine Polemik gegen die Zustände in Rom aufzufassen sei und viele Eigenschaften der Germanen, wie z.B. die Treue der Ehefrauen und andere Tugenden wie die ihre Wahrhaftigkeit übertrieben dargestellt wurden um damit die Zustande der römischen Gesellschaft zu kritisieren. Dem ist zu entgegnen, daß Tacitus eine ganze Reihe von negativen Eigenschaften der Germanen-Stämme ausführlich schildert und auch von seinem Abscheu keinen Hehl macht. Die Beschreibung der Sueben und weiter östlich wohnenden Stämme und ihrer Anbetung der Nerthus lassen sich in gar keiner Weise in ein solches polemisches und erzieherisches Konzept einbringen, zeigen dagegen eine präzise Beobachtungsgabe oft aus erster Hand, wenn er z.B. erkennt, daß die Esten eine völlig andere (nämlich nicht indogermanische) Sprache haben, die den Autor an die der Ureinwohner Britaniens erinnert. (3) D.h. einer, der
ga-hÖrig = gehorsam sein muß, also ein Leibeigener).
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